Großübung Busunfall

17.09.2022

Mengkofen. Ein auf ein Auto umgestürzter Linienbus, vor Schmerzen schreiende Insassen, eingeklemmte Personen, zahlreiche Verletzte und sogar Todesopfer – in der Realität wäre es ein wahres Horror- Szenario gewesen. Gott sei Dank war der Busunfall mit weiteren beteiligten Fahrzeugen nur die Kulisse für eine der größten Übungen der Rettungskräfte, die in den letzten beiden Jahrzehnten im Landkreis Dingolfing-Landau stattfand. Ein Massenunfall mit vielen Verletzten – solche oder ähnliche Meldungen sind keine Seltenheit. Viele Busse im Linien-, Schul-, Reiseund Berufsverkehr sind täglich in unserer Heimat unterwegs. Dies hatte die Kommandanten im Gemeindebereich Mengkofen bereits im Jahr 2019 dazu bewegt, eine entsprechende Übung zu planen und durchzuführen. Jedoch musste pandemiebedingt dann alles vorübergehend auf Eis gelegt werden. Doch nun war es soweit und am vergangenen Samstag übten über 250 Rettungskräfte von Feuerwehr, Sanitätsdiensten und Technischem Hilfswerk (THW) ein folgenschweres Szenario.

Schwierige Bergung der Verletzten
Was war passiert? Einem mit Kindern und Erwachsenen besetzten Linienbus, der auf der Gemeindeverbindungsstraße von Ettenkofen nach Mengkofen unterwegs ist, nähert sich im Kreuzungsbereich ein Auto, das aus Richtung Bauhof kommt. Der Fahrer dieses Pkws spielt auf seinem Handy und gerät auf die linke Fahrbahnseite. Zur gleichen Zeit befindet sich ein Radfahrer im Kreuzungsbereich. Der Busfahrer versucht noch, dem entgegenkommenden Fahrzeug auszuweichen, reißt das Steuer herum und der Bus kippt schließlich um, begräbt den Radfahrer unter sich, die Insassen des Autos werden zum Teil eingeklemmt, da der Bus auf der Frontseite des Autos liegt. Ein dem Bus nachfolgender Autofahrer kann nicht mehr bremsen und kracht ebenfalls in den umgestürzten Bus. Nach der erfolgten Alarmierung traf als erstes die Feuerwehr Mengkofen mit zwei Fahrzeugen ein. Einsatzleiter Kommandant Jürgen Köcher erkundete die Lage und gab sogleich die entsprechenden Anweisungen an seine Kameraden: Stabilisierung des Busses, Zugang zum Businneren schaffen, Bergung der Verletzten. Kurz darauf trafen bereits die Wehren aus Tunzenberg, Hüttenkofen, Leiblfing, Ottering und auch Dingolfing ein. Diese wurden durch den Einsatzleiter informiert, in verschiedene Abschnitte eingeteilt und begannen umgehend mit ihren zugewiesenen Aufgaben. Angefangen von der Unterstützung untereinander, dem Patiententransport bis zur Personenrettung. Alles lief Hand in Hand und innerhalb kürzester Zeit war eine Vielzahl an Rettungskräften im Einsatz. Während sich die Feuerwehr Dingolfing zuerst um die Personenrettung aus dem ersten Unfallauto kümmerte, war die Feuerwehr Leiblfing auch schon an der Personenrettung am zweiten Unfallauto, ebenfalls mit schwerem Gerät, dran. Hier kamen sowohl der Spreitzer als auch die Schere zum Einsatz, um nach Entfernen der Autodächer bestmöglichen Zugang zu den Fahrzeuginsassen zu erlangen. Zeitgleich entfernte die Feuerwehr Mengkofen die Frontscheibe des Busses, um einen ersten direkten Zugang zu den Businsassen zu bekommen. Auch eine Dachluke wurde geöffnet, um zusätzlich ins Businnere zu gelangen. Weitere Kräfte der Feuerwehr Dingolfing verschafften sich durch Einschlagen der Heckscheibe Zugang zu den im Bus befindlichen Personen und begannen ebenfalls umgehend mit der Personenrettung. Diese Bergung aus dem Bus heraus stellte sich als ziemlich knifflig heraus, denn im Businneren herrschte regelrechtes Chaos: Verletzte lagen teils übereinander und schrien vor Schmerzen.

Fast 250 Mitwirkende beim Busunglück
Da sich die Lage durch die vielen Businsassen mehr als dramatisch darstellte, wurden bereits kurz nach dem Eintreffen der ersten Wehren auch noch die weiteren Gemeindewehren aus Hofdorf, Mühlhausen, Puchhausen, Martinsbuch, Tunding, Süßkofen sowie die Feuerwehr Lengthal nachalarmiert. Diesen wurden unterstützende Maßnahmen in den einzelnen Abschnitten zugewiesen und halfen vor allem beim Patiententransport, waren aber auch als weitere Reserve vorgesehen. Außerdem wurde am Bauhof eine Zentrale für die Unterstützungsgruppe Örtliche Einsatzleitung (UG OEL) des Landkreises eingerichtet und der Einsatz entsprechend koordiniert. Zwischenzeitlich waren auch zwei besorgte Mütter an die Unfallstelle geeilt und wollten natürlich zu ihren Kindern. Sie konnten von den Einsatzkräften zurückgehalten und weitestgehend beruhigt werden. Alle geretteten Personen wurden an der Straße Richtung Bauhof an die Sanitätsdienste übergeben. Hier waren die Helfer vor Ort aus Mengkofen sowie mehrere Rettungsdienste von BRK, Malteser und auch Johanniter im Einsatz. Sie sichteten die „Verletzungen“, machten die Erstversorgung und unterteilten die Geretteten in verschiedene Kategorien, von leicht-, mittel- bis schwerverletzt und kümmerten sich um den entsprechenden Weitertransport.

Täuschend echt aussehende Verletzungen
Die Sanitäter hatten dabei alle Hände voll zu tun, waren doch insgesamt 30 Verletzte zu versorgen. Die Verletzungen reichten dabei von Verstauchungen, Prellungen, diversen Schürfwunden über Frakturen an Armen, Beinen, Becken bis hin zu den schweren Fällen mit Thoraxtraumata, Amputationen und Bewusstlosigkeit. Nach erfolgreichem Abschluss der Bergung aller Verletzten waren schließlich auch insgesamt drei „Todesopfer“ zu beklagen: Jeweils ein Insasse der beiden Autos sowie der Radfahrer, der unter dem umgestürzten Bus begruben wurde. Nachdem die Feuerwehr- und Sanitätskräfte ihre Aufgaben erledigt und ihr Equipment wieder aufgeräumt hatten, gab es an der Einsatzleitstelle vor Ort eine erste Besprechung der Übung mit den Gruppenführern, Abschnittsleitern und der Einsatzleitung, bei der die Führungsdienstgrade ihre beobachteten Abschnitte erläuterten und eine erste kleine Analyse trafen. KBM Reiner Gillig merkte dabei an, dass es schließlich vom Eintreffen der ersten Wehren bis zur Rettung der letzten Person eine knappe dreiviertel Stunde dauerte, was angesichts der angenommenen Unfalllage als wirklich gut bewertet wurde. Anschließend kam das THW zum Einsatz, das zwischenzeitlich mit fünf Fahrzeugen am Unfallort eingetroffen war. Das THW musste schließlich noch die Unfallautos bergen und den Bus aufrichten.

Dank an alle Beteiligten für ihren Einsatz
Nach Abschluss aller Einsätze trafen sich alle Beteiligten im Bauhof der Gemeinde Mengkofen. Kreisbrandmeister Christian Schmidt dankte dabei allen Einsatzkräften für ihre Leistungen und ihr großes Engagement. „Nicht zu vergessen dabei auch das Schminkteam um Jonas Diermayer von den HvO, die die Verletzungen wirklich absolut real nachschminkten, aber auch den Statisten für ihre nicht ganz so leichte Aufgabe.“ Kreisbrandrat Josef Kramhöller bescheinigte allen Rettungskräften ebenfalls eine sehr gute Arbeit bei einer ganz besonderen Übung. „Als äußerst sensibler Bereich hat sich dabei die Situation im Bus auch mit der psychischen Belastung der Insassen herauskristallisiert“, so Kramhöller. Bürgermeister Thomas Hieninger zeigte sich „schwer beeindruckt“ von dieser Übung: „Ein Szenario, das gar nicht so abwegig ist und auch jederzeit irgendwo passieren könnte“. Hieninger dankte allen, dass diese große Herausforderung entsprechend gemeistert wurde, vor allem aber auch Christian Schmidt und seinem Team.

Perspektivwechsel: Die Großübung aus Sicht der Statisten
Damit die Einsatzkräfte unter möglichst realistischen Bedingungen üben konnten, beteiligten sich mehr als 30 Statisten, sogenannte Mimen, an der Übung. Die meisten davon stellten Verletzte dar, aber auch besorgte Angehörige verbreiteten Unruhe unter den Einsatzkräften. Um 9 Uhr vormittags trafen die Mimen im Feuerwehrhaus ein. Kreisbrandmeister Christian Schmidt beschrieb kurz das geplante Szenario und ermutigte die Mimen, so realistisch wie möglich zu spielen. Jammern, Schreien, Weinen – und dadurch psychischen Druck auf die Rettungskräfte ausüben. Er wies darauf hin, dass sich die Übung „irgendwann real anfühlen kann“ und stellte jedem frei, sich die Teilnahme noch einmal zu überlegen. Dann begannen die beiden Mitglieder des Jugendrotkreuzes, Jonas Diermayer und Jakob Meisner, die Unfallopfer professionell zu schminken. Die Unfallopfer Lena Maunz (16) und Nathalie Detterbeck (18) aus Mengkofen, sowie die Darstellerin einer besorgten Mutter, Martina Kronwitter (49) aus Hüttenkofen, beschreiben die Großübung aus ihrer Perspektive. Lena Maunz: „Da ich selber beim Jugendrotkreuz bin, war es für mich selbstverständlich, mitzumachen. Ich bekam eine Schürfwunde an der Hand und eine Sprunggelenksfraktur. Als ich den Bus schräg auf dem Auto liegen sah, hatte ich doch Respekt vor dem Einsteigen. Für mich sah das sehr instabil aus. Christian Schmidt koordinierte im Bus, wo wir uns hinlegen sollten und gab Anweisungen, dass sich niemand tatsächlich verletzte. Mein Bein wurde wie vorgesehen leicht eingeklemmt. Anfangs war das kein Problem, doch mit der Zeit schlief es mir total ein. Es war alles etwas unwirklich, aber als wir die Sirenen hörten, steigerten wir uns automatisch rein und schrien um Hilfe. Obwohl wir den Ablauf kannten, war für mich das Schlimmste, dass wir draußen die Rettungskräfte hörten und trotzdem keiner zu uns kam. Mit meiner Freundin hatte ich häufig Blickkontakt, so konnten wir aufeinander aufpassen, ob die Panik noch gespielt war oder doch echt wurde. Dann kam ein Feuerwehrmann, der allerdings nur Infos nach draußen funkte. Gefühlt dauerte es ewig bis mehr Rettungskräfte hereinkamen. Es war gut, dass endlich etwas vorwärts ging, aber obwohl es nur eine Übung war, war es schwer zu verkraften, wenn anderen zuerst geholfen wurde. Ich schrie laut, weil ich das Gefühl hatte, übersehen zu werden. Als ich aus dem Bus gebracht wurde, hoben sie mich von der Trage herunter auf eine Decke. Dann musste ich wieder warten, weil ich bei der Triage „nur“ gelb bekommen hatte. Den Roten, also den Schwerstverletzten, wurde als erstes geholfen. In dieser Wartezeit war immer ein Feuerwehrmann bei mir. Da war ich dann doch wieder froh, dass die Rettungskräfte erst die Schwerverletzten versorgten und mich dafür warten ließen. Nathalie Detterbeck: „Ich bin Mitglied der FF Mengkofen und wollte einmal die andere Seite kennenlernen. Ich hatte mehrere Verletzungen, sie nannten es Polytrauma. Das „Reinschlichten“ in den Bus hat sehr lange gedauert, auch die Wartezeit, bis es endlich losging, fühlte sich ewig an. Als die Rettung begann, dauerte es immer noch eine Stunde, bis alle Verletzten geborgen waren. Wir Opfer konnten nicht einfach rausgetragen werden, die Feuerwehrler mussten zuerst den Bus sichern, aufschneiden und innen die Haltestangen heraussägen, damit sie überhaupt mit den Tagen reinkamen. Das dauert einfach. Ich war relativ schnell draußen und wurde gleich „ins Krankenhaus“ gebracht, weil ich wegen einer großen Schnittwunde am Oberschenkel bei der Triage „rot“ bekommen hatte. Als Feuerwehrfrau weiß ich, dass in solchen Situationen eh jeder rennt und sich beeilt, als Opfer kam es mir unendlich langsam vor.“ Martina Kronwitter: „Ich sollte als besorgte Mutter versuchen, mir einen Weg zum Bus zu bahnen. Ich fand leicht in meine Rolle, allerdings war es manchmal schwierig, in der Rolle zu bleiben, vor allem, wenn ich auf Bekannte traf. Anfangs ging ich einigen Rettungskräften „durch die Lappen“ und kam weitgehend ungehindert voran, erst kurz vor dem Bus stoppten mich zwei Feuerwehrmänner, die mich nicht mehr losließen. Sie redeten beruhigend auf mich ein und nach langer Diskussion, nachdem ich mich etwas beruhigt hatte, konnte ich in ihrer Begleitung an bestimmten Plätzen nach meiner Tochter suchen. Ich fand sie schließlich mittelschwer verletzt und ansprechbar in der Nähe des Busses, ein Feuerwehrler war schon bei ihr. In diesem Fall wäre das für mich als „echte“ Mutter sicherlich beruhigend gewesen, meine Tochter ansprechbar und in guten Händen zu sehen. Wäre sie schwerstverletzt oder gar tot gewesen, ich weiß nicht, ob ich dann da vorne hätte sein wollen. Einer Freundin von mir, die ebenfalls nach Angehörigen suchen sollte, erging es ganz anders. Die geriet gleich ganz am Rand des Einsatzes an zwei kräftige Feuerwehrler. Diese hielten sie so lange fest und redeten beruhigend auf sie ein, bis meine Freundin vorschriftsmäßig von Sanitätern übernommen, zur Verletztensammelstelle und dann weiter zum Kriseninterventionsteam gebracht wurde. Beide würden wir bei so einer Übung jederzeit wieder mitmachen, weil wir es sehr wichtig finden. Im Ernstfall erwarten alle, dass die Retter wissen, was zu tun ist, dann müssen sie auch die Möglichkeit haben, vernünftig zu üben.“

Textquelle: Heribert Apfel & K. Boneder